"Enter" drücken, um zum Inhalt weiterzugehen

Sep Ruf Geburtstag

9. März 2021
HAPPY BIRTHDAY! 113. Geburtstag von Sep Ruf

Zum 50. Geburtstag von Sep Ruf gab der Architekturkritiker Alfons Leitl 1958 ein Heft der Zeitschrift „Baukunst und Werkform“ über „Das Werk von Sep Ruf“ heraus und veröffentlichte auf über 20 Seiten eine Auswahl von dessen Bauten der Nachkriegszeit.

„Baukunst und Werkform“ war das wichtigste Forum für moderne Architektur in den 1950er-Jahren. Leitl gründete die Zeitschrift 1946 und leitete sie bis 1954 (danach Ulrich Conrads). Das Heft war die einzige Sondernummer, die während des Zeitraums des Erscheinens der Zeitschrift (bis 1960) einem einzelnen Architekten gewidmet wurde. Zur Veröffentlichung schrieb Leitl einen Geburtstagsbrief an Ruf, aus dem wir Auszüge veröffentlichen.


Lieber Professor Ruf,

(…) der ungeheure, sich stets erneuernde Einfallsreichtum Scharouns gehört genauso zum Gesamtbild des Bauens, wie die klassische seit Jahrzehnten sich gleichbleibende Ausgewogenheit und Ruhe der Architektur Mies van der Rohes; die spielerische, bisweilen tollkühne Phantasie der Italiener, ebenso wie die kühle Klarheit der Skandinavier. Jedem Land scheint sein Teil und Wirkungsanteil zugemessen und im engeren Raum der Länder wiederum ist dem einzelnen ein kleines Stück des großen Gartens zu bestellen aufgegeben mit aller Hingabe und Folgerichtigkeit des Denkens und des Tuns.

Ihnen, lieber Herr Ruf, ist im engeren Bezirk Ihres Heimatlandes ein solches Stück zugefallen, und soweit ich es beurteilen kann, haben Sie es mit Fleiß und Konsequenz bebaut. Ob Ihre bayerischen Landsleute Ihnen das zum Lobe rechnen oder es Ihnen übelnehmen – es wird Ihr Verdienst bleiben, daß Sie nicht erst jetzt in der Reife des Schaffens und Lehrens, sondern schon sehr früh, als junger Architekt, eigenen räumlich-baulichen Idealen gefolgt sind, außerhalb der konventionellen Raumvorstellungen Ihrer Umwelt. Man konnte das bereits in Ihren frühen Häusern erkennen, ob Sie diese mit herkömmlichen steilen Ziegeldächern bauten oder sich auch schon einmal in kubischer Strenge zeigten. Wenn manche unserer außerbayerischen Kollegen sich anfangs nicht ganz zufrieden zeigten ob solcher landschaftlich eingebetteter Moderne, so möchte ich Ihnen sagen, daß diese selbstverständliche Eroberung Ihrer Bauten von innen her mir immer als ein besonders charakteristischer Reiz des Weges erschien, den Sie gegangen sind und noch gehen. Diese Häuser, die älteren wie die neuesten, wollen mit ihren gläsernen Außenwänden dem Bewohner die Welt erschließen, aber die Tiefe der Räume ist immer da als Geborgenheit und „Rückendeckung”. Ich meine, Sie liefern die Menschen nicht dem Draußen aus, geben ihnen aber die Freiheit, es sich zuzugesellen.

Es dürfte kein Zufall sein, daß Neutra bei einem Besuch den schönen Wohnraum Ihres eigenen Hauses fotografierte. Ihre Häuser scheinen mir weitgehend dem Geiste Neutras verwandt, und es wäre keine Schande, weder für Sie noch für uns alle, wenn etwas von dem vorbildlichen Schaffen dieses Alt-Österreichers bewußt oder unbewußt aus seiner amerikanischen Wahlheimat in seine Heimatnähe zurückwirkte.

Noch etwas scheint mir wichtig, daß man nämlich an Ihren Bauten den Vorrang des Geistes feststellen kann gegenüber der These vom Materialzwang, der dies und jenes hervorbringe. In Ihren Wohnhäusern ist nichts zu sehen, was nicht auch schon in den alten Häusern Bayerns zu sehen wäre, nämlich Holz, gemauerte und geweißte Wände, Fichten- oder Tannenbretter. Aber aus diesen Urelementen entstehen Häuser neuer Art, bestimmt von einem neuen Raum- und Formwillen, und die alten Werkstoffe und Bauelemente fügen sich ihm wie selbstverständlich.

Solcher Art kann Tradition sein als eine Brücke vom Gestern zum Morgen. Noch wichtiger scheint uns freilich, wenn schon von Tradition gesprochen werden soll, jene innere Kontinuität, welche unser Tun dem gleichen Geiste entspringen läßt, der alle großen Werke der Vergangenheit geprägt hat: dem Drang nach Wahrheit, Vollkommenheit und Schönheit.

Alfons Leitl


Das Werk von Sep Ruf, Baukunst und Werkform, 1958, Heft 4

Typografie: Otl Aicher, Eva-Maria Koch, Martin Krampen, Hochschule für Gestaltung, Ulm
Umschlag: Joseph Faßbender, Köln

>>> Zwei Einfamilienhäuser in Tegernsee, S. 203–208

_____________________________________________

Beitragsfoto: Blick von der Terrasse des Wohnhauses von Sep Ruf auf den Tegernsee, Foto: Privat

<<< Zurück zu „Aktuelles“

Als Erster einen Kommentar schreiben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.