Erinnerungen an Sep Ruf (12) – Wilhelm Schaupp (1922–2005)
Wilhelm Schaupp, Bauingenieur, Leiter der Materialprüfungsanstalt der Technischen Hochschule München und Professor für Baustoffkunde und Baukonstruktion an der Akademie der Bildenden Künste München war einer der engsten Freunde von Sep Ruf. Er beriet über viele Jahre die Bauvorhaben bei bautechnischen und konstruktiven Fragen. 1966 erwarben die Freunde gemeinsam ein großes Grundstück in Grünwald. Schaupps Frau, Gertrud, war Architektin und hatte Ruf bereits in den 1930er-Jahren kennengelernt. Sie errichtete auf einen Teil des Grundstücks ihr Wohnhaus (2007 abgerissen) und Ruf auf dem anderen Teil sein Atelier. 1993 verfasste Wilhelm Schaupp die hier zu lesenden Erinnerungen an Sep Ruf:
Es ist zu begrüßen, daß die Architekturabteilung der Münchner Technischen Universität, Lehrstuhl für Entwerfen und Baukonstruktion, Professor Uwe Kiessler, anläßlich des 10. Todestages das Werk des Münchner Architekten Sep Ruf in einer Vorlesungsreihe den Architekturstudenten näher bringen will.
Sep Ruf hat in den 20er-Jahren an dieser Hochschule studiert und seine maßgebliche Prägung bei den Professoren Bestelmeyer und Abel erhalten. Nach Studienreisen in den Süden hat er an dieser Hochschule vor 60 Jahren mit dem Diplom abgeschlossen.
Planen und Bauen von Sep Ruf ist nur aus den damaligen Zeitläufen zu erfassen. Bis zur Jahrhundertwende bildete z.B. die Neo-Gotik den Zeitgeschmack um die Jahrhundertwende, und der verspielte Jugendstil das Ideal des aufstrebenden Bürgertums. Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg überrollte die junge Republik eine Welle von Stilrichtungen in der bildenden Kunst, in Musik, Theater und Film und selbstverständlich auch im Bauen. Die Bestrebungen des Bauhauses brachten erstmals wieder Klarheit und Einfachheit der Formen, begünstigt durch neue Baustoffe, schlanke Stahlprofile, großflächige Glasscheiben und sturzfreie Stahlbeton-Konstruktionen. Richtungsweisend war der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona des Architekten Mies van der Rohe, einem der maßgeblichen Vertreter des Bauhauses. Die wesentlichen Bau-Elemente des Pavillons waren flache dünne Dachscheiben, die auf wenigen massiven Natursteinplatten-Wänden und dünnen Stahlsäulen ruhten mit vollverglasten Öffnungen zu Innenhöfen und weitem Blick in die Landschaft. Es handelte sich zwar hier um einen Ausstellungsbau. Seine Konstruktions-Merkmale wurden aber auch Vorbild für Wohnhäuser, Siedlungen, Verwaltungs- und Fabrikbauten. Die Probleme des Wärme- und Schallschutzes, der Feuchtigkeitsisolierung kamen erst später. Sie stellten sich besonders bei der Übertragung solcher Gestaltungs-Ideen in kälteren Zonen. Diese Entwicklung wurde aber in den aufkommenden Diktaturen der 20-er Jahre jäh unterbrochen. Diktaturen bevorzugen massive Monumentalbauten. Die Gedanken des Bauhauses wie Transparenz und Einfachheit der Formen in darstellender und bildender Kunst wurden abgelehnt und als entartet verboten.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren viele Bauten ohne Unterschied ihres Alters und Stils durch Spreng- und Brandbomben zerstört. Der Wiederaufbau begann, wie immer in solchen Notzeiten, mit der bekannten Konsumwelle Essen – Kleidung – Wohnung. Um möglichst schnell wieder Wohnraum zu schaffen, wurde mit staatlichen Zuschüssen der sogenannte soziale Wohnungsbau angekurbelt, leider mit verordneter Grundriß- und Wohnflächenbeschränkung, kleineren Fenstern in Lochfassaden aus Mauerwerk mit aus Trümmerschutt gewonnenen Ziegelsplitt- und Schlacken-Hohlblocksteinen. So entstanden oft trostlose Mietskasernen und eintönige Reihenhaus-Bebauungen. In der Innenraumgestaltung dominierte der Nierentisch, der wandhohe Schrank mit Klappbett und die Glasmosaik-Bekleidung.
Es war für einen sensiblen Architekten sehr schwer, aus diesen Sachzwängen heraus eine Architektur zu gestalten, die den Bedürfnissen des freiheitlich erzogenen demokratisch-bewußten Menschen gerecht werden konnte. Wie viele seiner gleichaltrigen Kollegen knüpfte Sep Ruf als einer der ersten wieder an die Ideen des Bauhauses an.
Ich war mit ihm zusammen 1960 bei Mies van der Rohe in Chicago. Wir diskutierten über das Seagram Building, das Illinois Institute of Technology und die Stahlhäuser am Michigan-See, natürlich auch über das Problem des Bauunterhalts und der aufgetretenen Bauschäden. Mies erzählte uns, wie schwer er es nach seiner Übersiedelung nach Amerika im Kampf gegen den damaligen amerikanischen Geschmack der Formen und Farben hatte. Er sagte zu uns: „Ich bin schon zu alt meine Erkenntnisse weiter zu entwickeln und zu verwirklichen, aber geht ihr auf diesem Weg weiter. Baut in erster Linie Häuser für die Bedürfnisse der Menschen, denn ein Haus ist ja die dritte Haut des Menschen.“
Die von Sep Ruf unter meiner Mitwirkung errichteten Bauten werden in der vorliegenden Broschüre von den Studenten des Lehrstuhls analysiert und durchleuchtet, um die Ideen zu erfassen und für eigenes Gestalten Anregung und Vorbild zu finden.
Sep Ruf zielte immer nach höchster Baumeisterlichkeit, nicht nach Design. Am Strich des Entwurfs und im Modell mußte die konstruktive Absicht und das zu verwendete Material ablesbar sein. Für das neue Bauen mußten natürlich erst von der Fachwelt Ausführungsregeln für das Flachdach, Kalt- oder Warmdach, für die Dimensionierung von Glaswänden, Einhaltung von Wärme, Schall- und Feuchtigkeitsschutz erarbeitet werden. Auch das Sicherheits-relevante Denken, Haftung und Gewährleistungsprobleme mußten erst bei allen am Bau Beteiligten Eingang finden. Von vielen Kollegen und auch manchen Bauherrn wurde Sep Ruf lange nicht verstanden, weil er seiner Zeit gestalterisch weit vorauseilte.
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Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Schaupp, Sep Ruf, ein Architekt der seiner Zeit vorauseilte, in: Uwe Kiessler, Lehrstuhl für Entwerfen und Baukonstruktion der TU München (Hg.), Sep Ruf. Bauten, Wettbewerbsprojekte, Umfeld, Ausst.-Kat. über das Werk von Sep Ruf, zusammengestellt v. Student/innen im Rahmen des Faches Baukonstruktion II, München 1993/94, S. 2f.
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Beitragsfoto: Wilhelm Schaupp, Sep Ruf, um 1960, © Gertrud Schaupp
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