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Erinnerungen an Sep Ruf – 5

Erinnerungen an Sep Ruf (5) – Werner Wirsing (1919–2017)

Werner Wirsing und Sep Ruf lernten sich nach dem Zweiten Weltkrieg über den Publizisten Hans Eckstein kennen. Um auf einen modernen Wiederaufbau hinzuwirken, hatte Eckstein 1948 den Münchner Gesprächskreis „Freunde des Neuen Bauens“ initiiert. Dem Kreis gehörten auch der junge Wirsing und Sep Ruf an. Beide blieben über die Jahre freundschaftlich verbunden.

Als die Berliner Akademie der Künste 1980 für ihre Mitglieder eine Fahrt in die Toskana mit einem Aufenthalt in Sep Rufs Sommerhaus „Querce Sola“ organisierte, nahmen an der Reise neben Werner Wirsing (rechts im Foto) auch der Bauhäusler Arieh Sharon (links im Foto) sowie Horst Linde, Werner Düttmann, Friedrich Spengelin, Pierre Vago, der Bauingenieur Ulrich Finsterwalder, die Bildhauer Bernhard Heiliger und Fritz Koenig, der Komponist Günter Bialas und die Schauspielerinnen Maria Wimmer und Marianne Hoppe teil. 

In der 1987 erschienenen Publikation „Akademie der Künste 1979–1987. Die Mitglieder und ihr Werk“ erinnert sich Werner Wirsing an Sep Ruf.

Download PDF Werner Wirsing über Sep Ruf


Sep Ruf war sehr wichtig für uns

1945/46 waren wir nach Hause gekommen. Nach Bayern. Nach München. Wir gehörten jener Generation an, die Ende des Ersten Weltkriegs geboren wurde. Zu Beginn des Zweiten waren wir um die zwanzig Jahre alt.

Wir waren sehr neugierig. Aber wer war da, der die Neugier hätte befriedigen können? Wir stürzten uns auf greifbare Literatur und schlangen sie in uns hinein. Es bestand die Gefahr, dass die Neugier zu einer bloßen Gier nach dem Neuen wurde.

Da erfuhren wir von Sep Ruf. Er, der 1931 sein Diplom gemacht hatte und seitdem freischaffender Architekt war, ging mit Vehemenz an die Arbeit. Sie war durch den Krieg unterbrochen worden. Er hatte nicht das Glück gehabt, seinen Beruf in einem militärischen Bauamt wenigstens handwerklich weiter betreiben zu können wie viele seiner Architektenkollegen. Entwürfe von ihm, alte und neue, machten die Runde. Auf Anhieb bestachen uns seine klaren Grundrisse. Die fließenden Raumfolgen. Die Spannung zwischen sich Öffnendem und Umschließendem. Die Stimmigkeit seiner Bauten im Ganzen und in allen ihren Teilen. Hans Eckstein führte uns mit ihm zusammen. Zu einer Diskussionsgruppe, die er „Freunde des neuen Bauens“ nannte.

Wir merkten, dass es Sep Ruf keineswegs nur um ästhetisches Vergnügen ging, wenn er Häuser baute, die großes ästhetisches Vergnügen bereiteten. Architektur müsse mehr für den Menschen leisten. Nicht die Form der Dinge, die Beziehung der Dinge zu den Menschen und die Beziehung der Menschen zu den Dingen sei die eigentliche Aufgabe. So seine Worte. Immer wieder sprach er von der sozialen Verpflichtung, er praktizierte sie schon damals auch wörtlich. Mit viel sozialem Wohnungsbau, der diesen Namen auch wirklich verdient. Beschwörend warnte er vor modernistischem Formalismus als Selbstzweck. Vor zu geringem Menschenbezug, wie er sich ausdrückte. Vor dem Einsatz überflüssiger Mittel. Vor Pathos. Wenngleich ihm selbst solches leicht auf die Zunge geriet. Kaum aus Eitelkeit. Eher aus Angst, dass nicht ernst genug genommen werden könnte, was ihm wesentlich erschien. Durch sein Beispiel half uns Sep Ruf in dieser unglaublichen Zeit eines möglichen Neubeginns, da ein furchtbarer Druck gewichen und alles beglückend offen war – offen allerdings auch im Sinne eines kulturellen Vakuums –, unsere unbestimmten Hoffnungen auf ein neues Bauen in deutlichere Vorstellungen umzusetzen.

Er ging dann einen erfolgreichen Weg. Durch die 1950er-, die 1960er-Jahre. Viele gelungene Bauten säumen ihn. Geprägt von immer wieder neu unternommenen Versuchen nach dem möglichst einfachen Zusammenklang von innerer Logik und äußerer Erscheinung.

Sein Interesse galt dabei nie dem Objekt allein für sich, sondern vor allem der Auseinandersetzung mit dem angetroffenen Umfeld. In einer Zeit, da ‚moderne‘ Architekten sich nach pauschaler heutiger Verurteilung in alter Umgebung wie Barbaren benommen haben sollen, gehörte Sep Ruf zu jenen, die das Gegenteil bewiesen. Die Staatsbank in Nürnberg, die Maxburg in München, das Germanische Nationalmuseum, die Staatsbibliothek sind Zeugnisse dafür. Zeugnisse für seine Ehrfurcht vor dem Überlieferten. Er bedurfte dazu keiner Spur geschmäcklerischen Historisierens wie er auch keiner Spur regionalistischer Motivanleihe bedurfte, um regionalistische Bezüge herzustellen. Seine Häuser in Bayern sind bayerisch. Nicht greif-, aber deutlich spürbar.

Überraschend ob der Unverwechselbarkeit seiner Handschrift die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Architekten. Praktiziert mit Harald Roth in Nürnberg, mit Theo Pabst in München, mit Egon Eiermann in Brüssel. Und im eigenen Büro, wie seine Mitarbeiter bestätigen.

Die sich darin äußernde Souveränität gegenüber sich selbst ließ ihn wohl auch der gute und beliebte Lehrer werden, der er war. Von 1947–1972 an den Akademien in Nürnberg und München. Tief überzeugt davon, dass die Architektur inmitten der Künste ihren rechten Platz habe. Seine Schüler rühmen an ihm, dass er nichts aufdrängte. Dass er vielmehr vorhandenes Eigenes zu entdecken und weiterzuentwickeln half.

Sein ganzes Leben haben gute Freundschaften ihn begleitet. Er pflegte sie treu und beständig. In seiner liebenswert unbeholfen-herzlichen Art. Großzügig und aufrichtig seine Gastfreundschaft. Etliche von uns haben sie immer wieder genossen.

Glanzvolle Auszeichnungen wurden ihm zuteil. Bedeutende Aufgaben wurden ihm anvertraut. So konnte sein Leben reich sein an Stolz und Freude. Es war aber auch reich an Widerständen. Dem Widerstand gegen seine Architektur in Form von Banaltraditionalismus, der über die Zeiten in den Amtsstuben hockt und so bequem zu handhaben ist. Dem Widerstand gegen seine Architektur auch in Form von Banalmodernismus mit der Gefahr bösen Missverständnisses. Dem Widerstand gegen ihn selbst in Form von schmerzenden menschlichen Enttäuschungen.

Sep Ruf hat sein Leben mit zäher unbeirrbarer Willenskraft und einem stets größtmöglichen Einsatz von Energie geführt und so auch zu Ende gebracht.

Werner Wirsing, Sep Ruf war sehr wichtig für uns, in: Akademie der Künste 1979–1987. Die Mitglieder und ihr Werk, Berlin 1987, S. 315f.

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