Erinnerungen an Sep Ruf (1) – Otto Steidle (1943–2004)
In loser Folge stellen wir hier Erinnerungen an Sep Ruf ein. Den Anfang macht der Münchner Architekt Otto Steidle (1943–2004). Steidle war von 1965 bis 1969 Schüler von Sep Ruf an der Akademie der Bildenden Künste München.
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Otto Steidle über Sep Ruf
Sep Ruf war mein Lehrer, obwohl ich kein richtiger Ruf-Schüler bin. Damit meine ich, daß ich seine Prinzipien, seine Art über die Welt, ihre Geschichte, ihre Werte, ihre Kunst zu denken, sie in der Architektur zu erklären, daß ich diese Welt kennengelernt habe ohne sie zu übernehmen.
Sep Ruf’s Architektur ist von der Erfahrung der Person nicht zu trennen.
Deshalb möchte ich über ihn erzählen und dabei Person und Architektur zusammen betrachten. In der Zeit zwischen 1965 und 1969, in der ich bei ihm an der Akademie studiert habe, war Sep Ruf mit großen Arbeiten beschäftigt; der Münchner Tucher Park war vom Umfang und Größe das Bedeutendste. Die architektonisch bedeutenderen Werke lagen zurück; die Akademie in Nürnberg, die Maxburg in München, sein hervorragendes Wohnhaus in München Ecke Theresien-/Türkenstraße, schließlich ein Beitrag zur Weltausstellung in Brüssel, zusammen mit Egon Eiermann. Diese Projekte, denen allesamt, außer ihrer filigranen Eleganz eine gewisse konzeptionelle Entschiedenheit zugrunde lag, waren abgeschlossen. Sep Ruf war in der Anfangszeit meines Studiums 60 Jahre alt geworden. Er war eine imposante Erscheinung von Größe, Physiognomie, Auftreten, Kleidung. Sein Auftreten – ich erwähne es nicht ohne den Bezug zu seiner Architektur zu sehen – hatte viele Facetten: bei unserer ersten Begegnung erschien er mir weltmännisch offen. Weißer Anzug, weiße Schuhe, großer Hut, weißer Cadillac, als komme er direkt aus Florida. Im Gegensatz und in Entsprechung dazu war sein selbstentworfener Trachtenanzug ohne Hirschhornknöpfe, ohne Kragen, der graue Lodenstoff nur sparsam grün eingefaßt. Sein Trachtenanzug war nur die lokale, winterliche Variante zum amerikanisierten Sommeroutfit. Architektonisch entsprachen dem die bayerischen Flachdachhäuser für sich selbst und daneben für Bundeskanzler Ludwig Erhard in seiner Wahlheimat am Tegernsee. Kleider und Häuser entsprachen sich in reduziert/regionaler Stylisierung.
Sep Ruf hatte uns einmal zum Tegernsee in diese Häuser eingeladen und das von ihm umgestaltete Wohnhaus der Witwe Gulbransson sowie die Baustelle des Gulbransson Museums zu besichtigen. Sein eigenes Haus konnten wir jedoch – auf Veranlassung seiner Frau – nicht betreten, dafür entwickelte sich der Besuch bei Frau Gulbransson umso gemütlicher. Eine seltsame abgeschlossene Stimmung lag um sein Haus. Auch ein junger Mann, der sich vorher schon einige Male in unsere Klasse eingeschlichen hatte, fiel mir dort auf. Es war sein Sohn, der uns nie vorgestellt wurde. Merkwürdig war das. Ebenso wie manche Häuser von Sep Ruf: solche, die nicht ins Bild paßten, blieben unerwähnt, solche, die er zwischen 1933 und 1939 gebaut hatte, die schwerer und bodenständiger waren, „Schmitthennersche“ Prägung hatten. Häufige Erwähnung fanden die Häuser für seine oft zitierten Freunde: der Nobelpreisträger Werner Heisenberg, Emil Nolde, der Maler, und Andere: Musiker, Philosophen, Theologen. In die Lehre holte Sep Ruf schon in der Vorzeit der Studentenunruhen, also schon 1967, den Theologen und Philosophen Goergens, den späteren Präsidenten der Akademie. Er hatte gehofft, mit dem Gedankengebäude dieses unverdächtigen Geistesmannes der aufkommenden Beunruhigung und Diskussion der Studenten entgegenzuwirken.
Teile der Klasse waren schon infiziert. Beunruhigung war nicht mehr seine Sache. Er stand zwar noch fest auf dem Boden seiner Geschichte, jedoch nicht mehr fest genug zu den Fragen und Problemen der Zeit. Versuche Offenheit in der Diskussion um Gesellschaft und Architektur beizubehalten waren begrenzt geworden. Vielleicht hatte auch die spätere Erkrankung an einer Kinderlähmung den stattlichen und starken Mann zuviel Kraft gekostet. Seine Bereitschaft zum Risiko schwand auch in seiner Architektur. Für sich selbst baute er ein Weingut in der Toscana zu seinem Refugium aus. Er hatte dort wieder, wie in früheren Bauten die Substanz der Landschaft und Bauten aufgenommen ohne sich darin zu verlieren. Ein „alter – junger – Sep Ruf“ – sparsam im Material, offen und konsequent im Grundriß. Sein Entwurf für den Kanzler-Bungalow in Bonn hatte Spuren davon, auch von seiner Verehrung für Mies van der Rohe. Gleichzeitig nahm sein großes Münchner Projekt Form an: die beabsichtigte Leichtigkeit seiner Architektur wurde hier lediglich noch in den durchgehenden Vertikalen der Balkone signalisiert. Die ehedem zarten nach außen hin abnehmenden Dachränder waren zu dicken Attiken angeschwollen. Bei dem zeitlich kurz davor liegenden Zubau zur Staatsbibliothek in München dominierte noch das ausgeprägte räumliche Konzept, Konstruktions- und Fassadenelemente zeigten die etwas dekorative Tendenz schon an. Die späteren Sep Ruf Bauten am Tucher Park waren nur noch eine abgesicherte, geschmackvolle Gestaltung der „Ruf’schen Gesinnung“.
Seine Kirche in München St. Capistran, in den Anfangsjahren meines Studiums bei Sep Ruf entstanden, zeigt Sep Ruf hinsichtlich seiner Arbeit und seines Denkens nochmals besonders deutlich. Der archaisch runde Zentralraum steht – für mich – für seinen Wunsch eine Formel für seine Architektur für die Welt zu finden: Einfachheit als höchstes, künstlerisches und ethisches Ziel. Zähmung von Geist, Phantasie und Material, Kultur lag für ihn in der Beschränkung der Mittel auch der Bildhaftigkeit. Was bleibenden Wert hatte war die abstrakte Geste, nicht ihre direkte kulturelle oder gar regionale Zugehörigkeit, sondern ihr internationales Niveau. Dieser Wunsch war schon den Häusern anzusehen über die Sep Ruf nicht redete, die mit den „Schmitthennerschen“ Zügen.
Zurück zur Kirche von St. Johann Capistran. Zwei zueinander verschobene Kreise sind die Grundrißfiguren der Kirche. Die Mitte des äußeren Kreises ist die Mitte des Standortes für den Altar. Es ist die artifizierte Mitte. Die Mitte des anderen Kreises, des eigentlich erfahrbaren Sakralraumes, hat dazu Bedeutung. Zwischen beiden Kreisen liegen die Nebenräume. Ein Anbau dafür die Alltäglichkeit hinnehmend oder gar ausdrückend – wäre für Sep Ruf ein Problem gewesen. Sein Wunsch lag in der Erhebung, in der Zelebration des Besonderen, nicht im Alltäglichen, Der Entwurf von St. Johann Capistrano ist für mich, für seinen Schüler, der ihn als Lehrer und Person mochte und verehrte wie ein Psychogramm Sep Ruf’s.
Otto Steidle, Sep Ruf, in: Uwe Kiessler, Lehrstuhl für Entwerfen und Baukonstruktion der TU München (Hg.), Sep Ruf. Bauten, Wettbewerbsprojekte, Umfeld, Ausst.-Kat. über das Werk von Sep Ruf, zusammengestellt von Student/innen im Rahmen des Faches Baukonstruktion II, München 1993/94, S. 7f.
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