Letzte Aktualisierung: 13.10.2024
Kaufhaus bilka Kassel, 1960/61
Der jetzige Eigentümer, die Kaufhauskette SINN, zieht das Gebäude zur Zeit leer;
Nach 1945 zeigte Ruf an Bauten wie der Bayerischen Staatsbank und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg sowie der Neuen Maxburg (mit Theo Pabst) in München oder beim Kaufhaus bilka in Kassel, wie moderne Architektur auch im Dialog mit der Geschichte zu einem eigenständigen Ausdruck kommen kann. Während fast überall in Deutschland der Wiederaufbau auch als Gelegenheit aufgefasst wurde, Geschichte zu beseitigen, um dem Neuen Platz zu machen, suchte Ruf immer dann, wenn er im historischen Kontext plante, einen Zusammenklang von Alt und Neu. Im Gegensatz zu vielen Vertretern der Moderne, die sich in Kontrast zur Geschichte stellten, aber auch im Gegensatz zu einer Anpassungsarchitektur, entwickelte er eine für ihn charakteristische Form moderner Architektur in Harmonie mit der Tradition.
Die Obere Königsstraße 1961 mit dem neuen Kaufhaus Bilka und den neu angepflanzten Baumreihen.
„Wiederaufbau? Technisch, geldlich nicht möglich, sage ich ihnen; was sage ich? – seelisch nicht möglich! Aber schlichte Räume lassen sich auf den bestehenden Grundmauern und aus den brauchbaren Trümmerstoffen errichten, schlichte, helle Räume, in denen ein schlichtes, für jedermann gleiches und durchsichtiges Recht verhandelt und entschieden wird, ohne Hinterklauseln und ohne Stuckornamente.“
Otto Bartning, Ketzerische Gedanken am Rande der Trümmerhaufen; in: Frankfurter Hefte, Heft 1 (April), 1946, S. 63–72
Kaufhaus bilka, heute: Leffers AG Modehaus Kassel, Friedrichsplatz 19/Ecke Obere Königsstraße
Beschränkter Wettbewerb: 1959/60, Sep Ruf mit Arnold Bode
Ausführung: 1960–1961, Sep Ruf; Umbau: 1991, Walter von Lom & Partner, Köln
Das Kaufhaus setzt am Ort der im Krieg zerstörten Residenzpalais (Weißes Palais, 1767–1771, Simon Louis du Ry; Rotes Palais, 1821–1830, Johann Conrad Bromeis) einen selbstbewussten städtebaulichen Akzent. Ruf antwortete auf die gegenüberliegende
Seit der documenta 9 (1992) steht auf dem Dach des Portikus die von Thomas Schütte stammende, allerdings um drei Teile reduzierte Skulpturengruppe
Kaufhaus Bilka Denkmalwert und Denkmalschutz
Brigitte Warlich-Schenk, Stadt Kassel, Kulturamt und Denkmalpflege, Untere Denkmalschutzbehörde, 2008
Das Dilemma des Denkmalschutzes ist, dass er sich erst mit einer abgeschlossenen Epoche beschäftigen kann und dadurch der Entwicklung immer hinterherhinkt. Als 1983 in Kassel der Denkmalbestand in der Innenstadt erfasst war und im Rahmen der Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht wurde, war man stolzer Vorreiter der Erfassung der fünfziger Jahre-Architektur. Rückblickend war man zu vorsichtig So sind heute etliche qualitätvolle Bauten dieser Epoche durch Baumaßnahmen zerstört – und das im ganzen Land.
Vor diesem Hintergrund ist das 1961 an Stelle des Roten und Weißen Palais errichtetet Bilka-Kaufhaus in der 1983 erschienen Denkmaltopographie nicht einmal erwähnt. Lediglich der integrierte Portikus des kurfürstlichen Residenzpalais ist Kulturdenkmal. Nur durch ihn und die Lage am Kulturdenkmal Friedrichplatz hat der Denkmalschutz einen gewissen Einfluss auf Veränderungen am Äußeren des Gebäudes.
Aus heutiger Sicht wäre nach Einschätzung der Unterzeichnerin das ursprüngliche Kaufhaus Kulturdenkmal gewesen. Es veranschaulicht die örtliche Haltung zu der untergegangenen landgräflichen Stadt – Erinnerung daran findet nicht statt. Dem Architekten ist es durch die ruhige zurückhaltende und doch markante Architektur des Gebäudes gelungen, diese Haltung aufzunehmen und das Gebäude dennoch am Platzrand einzufügen. Mit der Einbindung eines kleinen Relikts des kurfürstlichen Vorgängerbaus erweist er dem untergegangenen seine Referenz. (Gabriele Wiesemann, Architekturästhetik im Wandel. Das Kaufhaus Bilka in Kassel, in: Der Architekt, 2008, H. 5: Rufs Vermächtnis. Transformationen der Moderne, S. 40–43)
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