Press "Enter" to skip to content

BDAtalk Alexander Fthenakis

Das ehemalige Gesundheitshaus München in der Dachauer Straße soll nach einer kulturellen Zwischennutzung einem Neubau weichen. Foto: Robert Haas 

10. März 2021
BDA Talk | Das Debattenmagazin des BDA Bayern – Ist das ein Haus oder kann das weg?


Im Umgang mit den Bauten der Nachkriegsmoderne benötigen wir einen Paradigmenwechsel hin zum Erhalt des Bestehenden. Weniger Verschwendung, kreatives Unterlassen ist gefragt. „Alt ist das neue Cool“.

Alexander Fthenakis im BDAtalk (> zu den weiteren Beiträgen)

Die Forderung nach einem respektvollen Umgang mit dem baulichen Erbe der Nachkriegsjahrzehnte ist keine neue. Und auch die diesbezüglichen Rückschläge sind es nicht.

Aus Münchner Perspektive liegt eines der traumatischen Schlüsselerlebnisse in den späten Achtzigerjahren, als ein breites und namhaftes Fachpublikum sich vergeblich gegen den skandalösen Abriss des denkmalgeschützten Landesversorgungsamtes der Gebrüder Luckhardt aus den 1950er Jahren zu Wort meldete. „Vandalismus von oben“ (1) nannte Jean Wofgang Stock den Abriss damals. Zweiunddreißig Jahre oder eine Generation später, dürfen wir noch immer der Zerstörung wichtiger Bauten, ja sogar Baudenkmäler der Nachkriegsjahrzehnte beiwohnen: der Abriss der (denkmalgeschützten) OSRAM Hauptverwaltung und des Münchner Hauptbahnhofes, das „Schwarze Haus“ des Süddeutschen Verlages oder die Aushöhlung der (denkmalgeschützten) Alten Akademie sind einige unserer lokalen Beispiele. Auf den Abriss warten bereits weitere, teils prominente Kandidaten, darunter das ehemalige Gesundheitshaus der Landeshauptstadt München, das DGB-Haus, die Veterinärfakultät der LMU und vielleicht sogar das Arabella Hochhaus. Ganz zu schweigen von den etlichen einfachen Mietshäusern aus der Phase des ersten Wiederaufbaus, dem Humus des heutigen Münchner Stadtbildes, die nach und nach verschwinden. Auch wenn sich langsam etwas bewegt und es erfreuliche Ausnahmen der behutsamen Umnutzung gibt, wie zum Beispiel der Ackermann Bau am Stiglmaierplatz oder das Kustermann-Haus am Viktualienmarkt: Der grundsätzliche Paradigmenwechsel, die „Erleuchtung“ der breiten Allgemeinheit, was den architektonischen und historischen Wert von Nachkriegsbauten und -stadträumen betrifft, lässt jedenfalls weiter auf sich warten.

Die pauschalen Aufrufe nach Respekt und Erhalt „der Nachkriegsarchitektur“ haben bislang nicht ausreichend gefruchtet. Zumindest nicht im Sinne einer allgemeinen Anerkennung und letztlich eines Erhalts dieses Erbes als (bau)kulturelle Errungenschaft. Denn erhalten bleibt durchaus einiges an Bausubstanz. Graue Energie hin oder her – die Immobilienwirtschaft hat die Vorteile des Weiterbauens am Bestehenden längst schon aus rein ökonomischen Gründen erkannt. Sei es aufgrund von Bestandsschutz, verkürzter Bauzeiten oder einer schlichten Kosten-Nutzen Abwägung, es wird immer mehr im Bestand gebaut, was zu begrüßen ist. Ob die dabei erhaltene Bausubstanz nach ihrer Sanierung, Modernisierung oder Überformung noch ihre ursprünglichen (oder auch neue) Qualitäten aufweist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Deshalb wird eine rein auf Nachhaltigkeit getrimmte Argumentation zwar einiges an Nachkriegsbausubstanz, nicht aber an Nachkriegsarchitektur vor der Erosion bewahren. Denn zum einen blendet sie schwer messbare architektonische Kriterien, wie historische und kulturelle Relevanz, emotionale Bedeutung, baukünstlerische Qualität oder räumliche und stadtbildprägende Wirkung aus. Zum anderen lädt sie zu einem selektiven Erhalt von Bausubstanz regelrecht ein. So sind ja gerade die Gebäude jener Jahrzehnte (oft zurecht) als Energie- und Schadstoffschleudern verschrien. Was wiegt also mehr: Graue Energie oder Heizkostenabrechnung? Die Antwort ist in der Praxis oftmals eindeutig. So könnte die Nachhaltigkeitsdebatte der Nachkriegsarchitektur letztlich einen Bärendienst erweisen.

Nachkriegsbauten sind, entgegen ihres einfachen Erscheinungsbildes, teilweise sehr anspruchsvoll in der Instandhaltung und problematisch in der Modernisierung. Auf architektonische Fehlgriffe reagieren sie empfindlich. Hans Döllgast sagte einst von Bauernhäusern: „Das schädigen Sie nicht so sehr wenn Sie es anzünden, als wie wenn sie ihm die Fenster heraus reißen.“ (2) Dass dies insbesondere auch auf die Bauten der 1950er Jahre ganz buchstäblich zutrifft, sieht man z. B. am Gebäude des Sparkassenverbandes des Architekten Josef Wiedemann am Münchner Karolinenplatz (Fenstersanierung 2016). So beginnt die Zugrunderrichtung von Nachkriegsarchitektur meist mit einer unzulänglichen ersten „Modernisierung“ oft schon in den 1980er oder 1990er Jahren, welche die ursprünglichen architektonischen und gestalterischen Charakterzüge wie Fenster, Farbgebung, Geländer, Bodenbeläge, Türen usw. verwässert oder gar auflöst. Darauf folgt in der Regel eine lange Phase des Sanierungsstaus und baulichen Verfalls (Beispiel Hauptbahnhof München), deren logische Folge die Stigmatisierung der betreffenden Gebäude als „Schandfleck“ ist. Diese legitimiert dann schlussendlich dessen Abriss.

Die natürliche Entwicklung der Städte und Landschaften macht vor der Nachkriegsarchitektur nicht halt. Und das soll sie auch nicht immer und überall. Allerdings herrscht auch in Fachkreisen noch keine Einigkeit darüber, was aus jener Zeit verschwinden kann und was aus städtebaulichen, architektonischen und historischen Gründen erhalten bleiben muss. Oder sind wir Architekten uns einig darüber, was wir vom gebauten Erbe unserer Kolleginnen und Kollegen früherer Jahrzehnte, für wertvoll und schützenswert erachten? Der Denkmalschutz wird uns die Beantwortung dieser Frage nicht abnehmen. Zwar ist in Bayern die Liste der Baudenkmäler aus den Nachkriegsjahrzehnten in den letzten Jahren erweitert worden. Angesichts der Menge ungeschützter aber qualitätsvoller Bauten und Stadträume ist dies jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hier ist als Sofortmaßnahme dringend mehr staatlicher Schutz einzelner – oftmals auch staatlicher oder kommunaler – Gebäude notwendig. Auch sind differenziertere gesetzliche Grundlagen und Normenwerke, die den Besonderheiten des Bestandes Rechnung tragen, längst überfällig.

(1) Wolfgang Jean Stock: Vandalismus von oben. Das „Landesversorgungsamt Bayern“ in München zwischen Wettbewerb und Abriss – eine Fallstudie, in: Brüder Luckhardt und Alfons Anker. Schriftenreihe der Akademie der Künste, Band 21. 1990, S. 82.

(2) Hans Döllgast im Interview mit Dieter Wieland 1971 in „Porträt eines Baumeisters – Der Architekt Hans Döllgast“, Bayerischer Rundfunk, 1984.


_____________________________________________  

<<< Zur Startseite Nachkriegsmoderne